Nach einer ruhigen Nacht bin ich heute wieder in der Lage,
zu schreiben. Aber nur, weil ich dafür Gespräche und Telefonate sowie andere
anstrengende Denkleistungen vermeide. Irgendwie reicht es nicht für beides und
so kann ich heute keinen einzigen Satz sprechen, wenn ich was gefragt werde.
Weil mir die Worte fehlen oder ich nach dem Gefragt-Werden schon nicht mehr
weiss, worum es überhaupt geht.
Dass geschriebene Sprache heute wieder einigermassen
funktioniert, habe ich als erstes für mein letztes Mandat genutzt. Nachdem ich
nun zwei, drei Arbeiten für die kommende «Hunde»-Ausgabe erledigen konnte,
möchte ich über das #MECFS-Leitsymptom PEM schreiben.
PEM heisst Post-Exertional Malaise und wird verniedlichend
auch Belastungsintoleranz genannt. Ich fände «tödlicher Treibsand» eine bessere
Bezeichnung. Denn PEM bedeutet Crashs nach Aktivität. Egal welcher Art. Sobald
man an seine Grenzen geht oder gar darüber hinaus, folgt ein Crash. Je nach
Anstrengung bringt ein Crash unterschiedliche Symptome mit sich. Von völliger
Kraftlosigkeit zu unglaublichen Schmerzen über völlige Debilität bis hin zu
Fieber und Schüttelfrost ist alles möglich. Übrigens kann man auch von einem
guten Witz oder einem emotionalen Film crashen.
Und darum sollte PEM tödlicher Treibsand heissen. Denn das
überaus Gemeine an ME/CFS ist, dass je aktiver und arbeitswilliger ein Mensch
ist, je mehr er oder sie versucht, gegen die Krankheit anzukämpfen oder seine
Leistungsfähigkeit zu erhalten, umso schneller sinkt er oder sie darin ein,
umso schneller schreitet die Krankheit fort. Die Faustregel lautet: An ME/CFS
erkrankte Menschen sollten maximal 50 Prozent von dem tun, was sie sich nach
aktuellem Befinden zutrauen, um ihre Krankheit zu stabilisieren. Das ist
unvorstellbar schwer einzuhalten. Und während man im Crash liegt, weiss man
nie, ob der Zustand nun so das neue Normal ist, sprich, bleibt, oder ob er
vorübergehend ist. Das ist unvorstellbar stark belastend.
Aktivieren bis zur Vollinvalidität
Wenn ME/CFS nun wie eine «normale» Fatigue, wie man sie auch
bei Krebserkrankungen kennt, oder wie eine Depression behandelt, dann bringt
das den Patienten schneller um als ihm oder ihr und seinen Angehörigen lieb
ist. Aktivierungstherapie ist in hohem Masse schädlich und manch ein
ME/CFS-Patient verliess die Rehaklinik, die er auf eigenen Füssen betreten
hatte, im Rollstuhl oder gar liegend.
Auch mit anderen Erkrankungen vertraute Fachpersonen wissen
das oft nicht und so erstaunt es nicht, dass eine grosse Patientenorganisation
mir ihren Leitfaden für Fatigue-Therapie schickte, worauf ich sie gehörig
zusammenstauchte. Vielleicht können sich ja Krebskranke nach den Operationen
und Medikamententherapien nicht mehr richtig bewegen und können mittels Reha
aufgebaut werden, an ME/CFS Leidende wollen unbedingt mehr machen, als sie
dürfen und müssen deshalb gebremst werden.
Das verstehen auch viele Rehakliniken nicht, weshalb
unterdessen von mit ME/CFS vertrauten Spezialärzten von Rehaverschreibungen
abgeraten wird. Es wäre schön, wenn auch Versicherungen und Rentenverwalter
sich entsprechend informieren würden. Womit wir beim Thema Psychosomatik wären.
Denn weil ME/CFS eine Multisystem-Erkrankung ist, die auf einzelne Aspekte
spezialisierte Ärzte oder Allgemeinmediziner ohne adäquate Weiterbildung
hoffnungslos überfordert (und leider im normalen Medizinstudium kaum oder gar
nicht stattfindet), flüchtet man sich gern in eine psychosomatische Diagnose.
Dass das nicht gut ausgeht, könnt ihr euch sicher vorstellen. Doch mehr dazu
morgen … oder so.Weiterführende Links:
https://www.mecfs.de/was-ist-me-cfs/pem/
ME/CFS-Patienten-Leitfaden zur Vermeidung von PEM:
https://www.omf.ngo/wp-content/uploads/2019/09/PEM-Avoidance-Toolkit-Deutsch.pdf
Post-COVID-Syndrom mit Fatigue und Belastungsintoleranz:
Myalgische Enzephalomyelitis bzw. Chronisches Fatigue-Syndrom:
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