Inhalt:
1.
Psychisch vs. Physisch
2.
Psycho-Ecke blockiert Forschungsgelder
3.
Biomarker in Sicht
4.
Erfahrungsbericht Misshandlung einer
ME/CFS-Patientin
Psychisch vs. Physisch
Es gibt doch tatsächlich Leute, die denken, ich bilde mir
meine Krankheit ein. Die der Meinung sind, dass ich freiwillig auf
Hundespaziergänge, Ausritte, Besuche und Einladungen, Autofahrten, Bücher
lesen, unbändige Freude, Schlittenfahrten sowie meine mich überaus erfüllende
Arbeit verzichte.
Zugegeben, in meinem Umfeld sind es nur wenige. Eine
Hausärztin, der ich regelmässig den Kopf zurechtrücken muss (und auch tue),
wenig Verwandte sowie hie und da eine Bekannte.
Leider ist um #MECFS ein regelrechter Kampf entbrannt,
angeführt von den psychosomatischen Gesellschaften, einigen Professoren und
‘Experten’, Kliniken und der Psychiatrie. Sie verfechten die Meinung, dass
ME/CFS wie #LongCovid ein rein psychosomatisches Syndrom ohne organische
Ursache oder mit nur marginaler physischer Beteiligung.
So schreibt beispielsweise Univ.-Prof. Dr. med. Christoph
Kleinschnitz, Leiter der Klinik für Neurologie (!!!) der Universitätsklinikum
Essen vor kurzem in einem Artikel: «Gerade
bei den unspezifischen, nicht objektivierbaren neuropsychiatrischen Symptomen
wie dem „Brain Fog“ oder generalisierten Schmerzen ist es notwendig, den
vermeintlich COVID-bedingten Anteil vom Hintergrundrauschen affektiver und
psychosomatischer Störungen abzugrenzen, zumal sich die Kollektive hinsichtlich
Altersverteilung, Geschlechterdominanz und psychiatrischer Vorerkrankungen
stark überschneiden. Allein eine zeitliche Assoziation von Beschwerden mit
einer vorhergehenden Infektion belegt noch keinen ursächlichen Zusammenhang.»
Quelle: Erbguth, Frank; Förstl, Hans; Kleinschnitz, Christoph
(Dtsch Arztebl 2023; 120(13):
A-563 / B-482)
Auch bei uns in der Schweiz ist die Einordnung von ME/CFS
als psychosomatische Krankheit noch ganz und gäbe. So antwortete die Leiterin
Patientenadministration der @Hochgebirgsklinik Davos auf Anfrage bezüglich
Reha-Möglichkeiten: «Die Aufnahme für ME/CFS erfolgt auf unserer
psychosomatischen Abteilung. Details zur Behandlung und zum Therapieangebot
finden Sie auf unserer Homepage www.hochgebirgsklinik.ch/hauptnavigation/medizinisches-angebot/psychosomatik.html?search_highlighter=Fatigue»
Die Informationen auf der Seite lassen jeden ME/CFS-Patienten schaudern:
Aktivierung, Psychotherapie, Sporttherapie, Lichttherapie usw. usf.
@MECFS_Stuttgart findet für diese Einteilung klare
Worte und eine noch klarere Visualisierung (Abbildung 2):
«Die evidenzlose Psychopathologisierung von Millionen
Patient:innen mit #MECFS & #LongCovid verhindert adäquate Diagnostik,
bremst biomedizinische Forschung,
versperrt Zugang zu Therapien und sozialrechtlicher Unterstützung und zerstört
Leben.»
Für eine korrekte Einordnung von ME/CFS kämpft seit Jahren Prof.
Dr. med. Carmen Scheibenbogen, Leiterin der Immundefekt-Ambulanz des Instituts
für Medizinische Immunologie an der Charité, Universitätsmedizin Berlin,
Fachärztin für Hämatologie, Onkologie und Fachimmunologin. Sie wurde letztes
Jahr sogar für ihr Engagement mit dem Bundesverdienstorden ausgezeichnet. Von
ihr stammen auch die «Praktische Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie» (Scheibenbogen
et al. (2019), Chronisches Fatigue-Syndrom/CFS – Praktische Empfehlungen zur
Diagnostik und Therapie, Ärzteblatt Sachsen, 26–30, Sächsische
Landesärztekammer, Dresden).
Psycho-Ecke blockiert Forschungsgelder
Noch ist kein anerkannter Biomarker identifiziert. Gut
belegt sind hingegen mehrere Veränderungen im Körper, die teilweise mittels
Blut- oder Liquor-Test nachgewiesen werden können. Die folgenden
pathophysiologischen Veränderungen konnten bei ME/CFS-Patienten häufiger
festgestellt werden (Quelle flexikon.doccheck.com/de/Chronic_fatigue_syndrome):
- · Sog. T2-Shift in der zellulären Immunität
- · Verminderte Zytotoxizität der NK-Zellen
- · Aktivierung proinflammatorischer Zytokine
- · Aktivierung der Mikroglia im ZNS
- · Dysregulation des antiviralen RNase-L-Signalwegs
- · Mitochondriale Dysfunktion, Störungen der Atmungskette, Defekte der mitochondrialen DANN
- · Verminderung der Alpha-Aktivität im EEG
- · Multiple autonome Dysfunktionen
- · Reduzierte Funktion der HPA-Achse, Erhöhte Spiegel des Neuropeptids Y, Hypocortisolismus, niedriges IGF-1
Ein eindeutiger Biomarker wäre aber nötig, nicht nur, damit
psychosomatische Diagnosen vermieden werden können, sondern auch, damit die
Pharmaindustrie endlich nach Heilmitteln zu forschen beginnt. Bisher tut sie
das nämlich nicht.
Die Folie aus einem Vortrag von Professor Scheibenbogen
zeigt den Missstand anhand eines Vergleichs mit Multiple Sklerose deutlich auf
(Abbildung 3). Dieser Vergleich soll aber nicht aussagen, dass bezüglich #MS zu
viel gemacht würde, bitte nicht missverstehen.
Und ein Teilnehmer dieses Vortrags twittert: «Wichtige Aussage von @C_Scheibenbogen zum Engagement der Pharma-Industrie bzgl. #MECFS und #LongCovid: Diese scheut die Medikamentenentwicklung bei ME/CFS aufgrund mangelnder Grundlagenforschung aber auch aufgrund des unklaren Meinungsbildes durch falsche Psychosmatisierung.»
Ins selbe Horn stösst auch ein Forscher auf Twitter: «Es
werden v. a. von prominenten Neurologen immer wieder Zweifel an der Existenz
der Erkrankung gesät (kein Witz), sodass sich niemand traut, Geld für Forschung
bereitzustellen (Pharma, Stiftungen, DFG). Es ist ein Teufelskreis im wahrsten
Sinne des Wortes.»
Biomarker in Sicht
Doch es gibt Hoffnung. Bhupesh Prusty, PD, PhD., Senior Lab
Manager, Principal Investigator, Institut für Virologie und Immunbiologie der Universität
Würzburg, hat am 30. März 2023 getwittert: «We will announce a biomarker for
#MECFS and #LongCovid very soon. A very interesting piece of the puzzle to
unfold in coming weeks. Knowingly I did not use the word 'Novel Biomarker' as a
lot is known about it and that is actually a very good news. Fingers crossed!»
Zu deutsch: «Wir werden sehr bald einen Biomarker für #MECFS
und #LongCovid bekannt geben. Ein sehr interessantes Puzzlestück, das sich in
den kommenden Wochen entfalten wird. Ich habe bewusst nicht das Wort
"neuartiger Biomarker" verwendet, da schon viel darüber bekannt ist
und das eigentlich eine sehr gute Nachricht ist. Daumen drücken!»
Erfahrungsbericht Misshandlung einer ME/CFS-Patientin
Überhaupt ist Twitter eine gute Möglichkeit, über Forschung,
Therapie und Off-Label-Medikamente auf dem Laufenden zu bleiben. Aber auch für
den Austausch unter uns Betroffenen ist der Social-Media-Dienst eine gute
Plattform. Hier werden Erfahrungsberichte ausgetauscht aber auch Hilferufe und
Hilfsangebote veröffentlicht. Wenn beispielsweise eine schwer Erkrankte
zwangseingewiesen werden soll, werden Rechtsbeistand und medizinische Hilfe
organisiert. Das kommt übrigens öfter vor, als man sich das vorstellen kann.
Unvorstellbar ist auch die Erfahrung, die Sarah mit Ihrer
Zwangseinweisung gemacht hat. Sie hat mir erlaubt, ihren Bericht an dieser
Stelle zu veröffentlichen.
Erfahrungsbericht von Sarah Buckel
«Jetzt erzähl ich euch von meiner menschenverachtenden
Zwangseinweisung auf die schlimmste Station in der Psychiatrie. Es war
Nachmittag ich war zuhause und bekam heftigste Atemnot. Also wurde der
Rettungsdienst gerufen und ich kam ins Krankenhaus. Ich konnte weder sprechen noch
kauen und war inkontinent aufgrund der langen Zeit mit Katheter. Ich blieb eine
Nacht und der Atzt war der festen Überzeugung ich bin komplett irre. Also rief
er meinte Mutter an und beschloss mit ihr zusammen mich zwangseinzuweisen. Mir
wurde mit der Polizei gedroht.
Also fuhren sie mich liegend in die Psychiatrie auf eine
Station, wo scheiße an den Wänden war, Menschen laut brüllten und an Betten
gefesselt wurden. Zu dem Zeitpunkt war meine Windel komplett ausgelaufen ich
war nass, hatte nur noch 46kg und konnte nicht stehen oder sitzen. Musste ich
aber. Und das bis ich fast ohnmächtig wurde. Mir wurde verboten meinen Vater
anzurufen und auch er durfte mich nicht anrufen. Mein Handy bekam ich nicht.
Ich kam trotz meiner extrem Reizempfindlichkeit in ein vierer Zimmer. Ich
bettelte nach Windeln.
Diese bekam ich dann mit gemeinem Grinsen im Gesicht. Eine
Woche konnte ich niemanden kontaktieren. Ich bekam mein Essen nicht, weil ich
es selbst holen sollte, ich bekam keine Körperpflege, mein Bett war komplett
vollgesabbert ich konnte gerade noch trinken. Endlich durfte mein Vater mich
besuchen kommen, ich konnte auch mit ihm nicht mehr sprechen. Er brachte mir
Flüssignahrung und ein Schokolade zum lutschen.
Ich musste 8 Wochen dort bleiben und wurde mit Tavor
vollgepumpt. Einen Tag wurde ich gezwungen vor zu laufen. Ich dachte mir es ist
mir egal, dann kipp ich eben um. Doch es kam anders. Erst bekam ich Herzrasen
wie immer, doch umso länger ich stand umso mehr Herzaussetzer kamen. Sie
meinten so eine Gesichtsfarbe haben sie noch nie gesehen und haben Puls
gemessen. Der war nur noch bei 46. Ich dachte echt ich sterbe. Dann musste ich
Zimmer wechseln und zwar in ein Kamerazimmer. Mit einer behinderten Person, die
dachte ich lieg in ihrem Bett und mir erst mal eine reingeschlagen hat. Ich
weinte so arg und flehte meine Familie an mich rauszuholen. Das geschah dann
auch, ich durfte endlich heim zu Papa. Im Bericht stand dann ich musste ins
Kamerazimmer aufgrund von Suizidäußerungen. Und noch so viele verletzende
Sachen wie "Tablettenverweigerung" "Nahrungsverweigerung"
... usw
Ich hab das immernoch nicht verarbeitet und ich bin so
dankbar jetzt mit Papas Hilfe mich wieder wie ein Mensch zu fühlen. Ich weiß
nicht, was meinen Zustand gebessert hat aber ich kann wieder essen und auch für
2-4 Minuten sitzen/stehen. Zwar mit Herzrasen aber ohne umzukippen.
Ich bin dankbar, diese schlimme Zeit überstanden zu haben
und stolz nicht wieder aufgegeben zu haben und was soll ich sagen, es hat sich
gelohnt. Ich bin alles andere als gesund und habe schlimmste Symptome und bin
immer noch echt schwer betroffen. Aber wer hätte gedacht dass ich mal
Schlüsselanhänger im Bett knüpfen würde. Nichtmal die IA hat mir geholfen. Ich
kann nur beten, dass es zumindest so bleibt, denn nochmal würde ich ein so
schlimmes halbes Jahr nicht aushalten.
By the way: ich wurde oft mit Madame Buckel angesprochen
oder der Arzt sagte mal er muss sich hier noch um 27 WEITERE BEKLOPPTE kümmern.
Die Schwestern sagten jedes mal ach Frau Buckel schläft wie immer oder wie
lange will sie da noch rumliegen und versauern?»
Auswahl weitere Tweets und Antworten:
«Mein Mann hat in einer "Früh-Reha" ähnliches
erlebt.Da er nicht sprechen oder sich bewegen konnte haben die ihn
misshandelt,nie gewaschen,keine Nahrung gegeben und ich konnte ihn erst nach
einer Woche da raus holen. Das sind keine Einzelfälle.»
«Es tut mir so leid, wie du als severe #mecfs Patientin in
der Psychiatrie zwangsmisshandelt wurdest. Ein grauenhaftes System. Ich bin
leicht bis moderat erkrankt und wurde über sieben Jahre psychiatrisch
fehlbehandelt. Auch ich habe schreckliche Dinge erlebt. I feel You.»
«Als ich wochenlang in der #Psychosomatik war, hab ich nicht
ein einziges Mal einen #Neurologen gesehen, obwohl mein Hauptproblem extreme
#Kopfschmerzen, bes. nach jeder Belastung, sind. Nebenan war die
#Schmerzambulanz des Klinikums. Aber #MECFS-Pat. bekommen nur nutzlose Psycho.»
«Der Psycho-Gutachter meint,dass ich im Juni 2023 wieder fit
bin,wenn ich eine Psychotherapie mache.Endlich Heilung für #MECFS mit
Pflegegrad 3.»
«Auf der Memorial Seite finden sich grausamste #MEkills
Schicksale: "...Pfarrer John Langham starb 2002 in Sidmouth, Devon,
Vereinigtes Königreich, nachdem ihm sein Hausarzt 20 Jahre lang gesagt hatte,
seine Krankheit sei "nur in seinem Kopf". Der Hausarzt weigerte sich
ihm irgendeine Pflege zu gewähren, als seine Frau für einen langen
Krankenhausaufenthalt eingewiesen wurde. Der Arzt erklärte, dass er sich selbst
versorgen könne, wenn er wolle, da ME seiner Meinung nach nicht existiere. John
war zu krank, um sich selbst zu ernähren, und er konnte sich nicht einmal etwas
zu trinken holen. Er starb mit hervorstehenden Knochen und sah aus wie jemand
aus einem Konzentrationslager. In seiner Sterbeurkunde wird ME als Todesursache
angegeben. (Quelle: Devon ME Assoc. PWME)..."»
👇
https://ncf-net.org/memorial.htm#h
#mecfsawareness #MECFS #normalitätssimulationsintermezzo
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